Der Langsitz (dandāsana)

Der Viniyoga versucht die Übungen des Yoga an die individuellen, körperlichen Möglichkeiten und Bedürfnisse der Yogaübenden anzupassen. Als Viniyogalehrerin greife ich dabei sehr häufig auf den Hocker als Hilfsmittel zurück. Nicht nur Teilnehmende, welche zum ersten Mal Yoga üben, sondern auch solche, mit langjähriger Yogaerfahrung können in āsana-Varianten mit einem Hocker ganz neue Erfahrungen machen. Im Mittelpunkt dieser Gruppenstunde steht der Langsitz, auf Sanskrit „dandāsana“ (Stab, Säule, Stock, Haltung). Dieses āsana wird zunächst vom Hocker und anschließend am Boden sitzend (mit verschiedenen Bein- und Armhaltungen) geübt. Der Langsitz benötigt eine gute Beweglichkeit der gesamten Wirbelsäule und der Hüftgelenke. Die Funktion als Streckung erfordert viel Kraft in der gesamten Rückenmuskulatur. An der Körpervorderseite müssen gleichzeitig Oberschenkel-, Hüft- und Bauchmuskulatur kontrahieren (anspannen), um den Oberkörper aufzurichten. Wird dandāsana mit lang nach vorn ausgestreckten Beinen sitzend am Boden ausgeführt, werden die Beinrückseiten gedehnt. Der Körper sollte auf diese körperlichen Anforderungen durch einfachere Streckungen, wie die Beinhebehaltung (ūrdhva prasrta padāsana), die Tischhaltung (ardha uttānāsana) oder den herabschauenden Hund (adhomukha śvānāsana) vorbereitet werden. Haltungen aus dem Langsitz können Verspannungen im Rücken, im Schulter-Nackenbereich, in den Hüften und Oberschenkeln hervorrufen oder verstärken. Dies kann beim Üben durch das Anbeugen der Beine oder die Verwendung einer Sitzunterlage vermieden werden. Ein anschließender Ausgleich dieser beanspruchten Körperbereiche ist aber trotzdem zwingend notwendig. Dies kann als erstes ein entspanntes Ausstrecken in der Rückenlage (śavasāna) sein, sollte aber anschließend um dynamische Wechsel zwischen Kniestand und Blatthaltung oder zwischen Schulterbrücke (dvipāda pīṭham) und Knie-zum-Bauch-Haltung (apānāsana) ergänzt werden.

Die Kobra (bhujaṅgāsana)

Yogaübungen bewegen den Körper auf eine ungewöhnliche Art und Weise – anders als man den Körper im Alltag bewegt. Sehr deutlich wird das beim Üben der Kobra, auf Sanskrit „bhujaṅgāsana“ (Schlange, Haltung). Wann liegt man im Alltag schon mit angehobenem Oberkörper auf dem Bauch? Diese Haltung kann mit ihren vielen Varianten eine āsana-Praxis deutlich bereichern. Leider wird die Kobra auf Fotos in Zeitschriften oder Yogablogs oftmals so dargestellt, dass der Oberkörper mittels der gestreckten Arme möglichst weit nach hinten in die Rückbeuge angehoben bzw. abgestützt und der Kopf ebenfalls möglichst weit nach hinten in den Nacken abgelegt werden muss – je höher und verbogener, desto besser und perfekter. Die bereits natürlich vorhandenen Vorwölbungen (Lordosierungen) der Hals- und Lendenwirbelsäule werden in dieser Form der Haltung deutlich verstärkt (sog. Hyperlordosierung). Dabei liegt die Funktion von bhujaṅgāsana darin, den oberen Rücken, die Brustwirbelsäule, in eine Rückbeuge zu bewegen, indem der Oberkörper allein mit Hilfe der Anspannung der Rückenmuskulatur vom Boden angehoben wird. Der Brustkorb weitet sich und die Vorderseite des Körpers wird gedehnt. Die körperlichen Problembereiche des āsana liegen im unteren Rücken und im Nackenbereich, welche gleichermaßen durch ein zu viel an Spannung und durch zu starkes Rückbeugen belastet werden können. Wird der Fokus statt auf Hals- und Lendenwirbelsäule (wo das Rückbeugen deutlich einfacher ist) auf die Rückbeuge in der oft unbeweglicheren Brustwirbelsäule gelegt und die Haltung der Beine (leicht gegrätscht), der Arme (zu den Seiten oder nach hinten angehoben bzw. die Hände neben dem Brustkorb am Boden aufgelegt) und des Kopfes (in Verlängerung der Wirbelsäule, der Nacken ist lang) entsprechend variiert, kann man den negativen, gesundheitlichen Auswirkungen dieser Haltung entgegenwirken. Variationen in der Armhaltung (lang nach vorne angehoben oder die Hände hinter dem Rücken gefaltet) und auch durch das Anwinkeln der Beine in den Knie (ohne die Beine vom Boden anzuheben) können die Haltung intensivieren. Bhujaṅgāsana sollte mit leichteren Rückbeugen, wie der Schulterbrücke oder dem Vierfüsslerstand vorbereitet werden und benötigt grundsätzlich nach dem Üben einen Ausgleich, um möglicherweise zu viel aufgebaute Spannung im Rücken zu lösen. Hierfür bieten sich ebenfalls wieder das dynamischen Üben von apānāsana (Knie-zum-Bauch-Haltung) oder einige Wechsel zwischen Vierfüsslerstand und Blatthaltung oder zwischen Kniestand und Blatthaltung an. (Foto Stephanie Weich, Melanie Klenner Yogagarten Alvesse)

Die Drehlage (jaṭhara parivṛtti)

Die Drehlage, manchmal auch Krokodil genannt, auf Sanskrit „jaṭhara parivṛtti“ (Gedrehter Bauchraum). Je nach Haltung der Beine, Arme und der Position des Kopfes lässt sich das āsana schrittweise intensivieren und benötigt relativ wenig Vorbereitung. Die körperlichen Problembereiche dieser Übung liegen unter anderem im unteren Rücken, der je nach Haltung der Beine (gebeugt oder gestreckt), kräftig gedehnt und gleichzeitig angespannt werden muss, um die Beine wieder in die Ausgangsposition in der Mitte zurückzuführen (Dehnung + Anspannung = exzentrische Kontraktion). Des Weiteren kann sich auch der Schulter-Nackenbereich unnötig verspannen, wenn der Kopf zu intensiv in die entgegengesetzte Drehrichtung gezwungen wird. Eine Drehung des Kopfes ist für die Funktion des āsana (Drehung in der unteren Wirbelsäule, Dehnung des Schultergürtels und des Bauchraumes) nicht relevant. Alternativ kann der Kopf auch mittig ausgerichtet bleiben oder in die Richtung der Beine mitgedreht werden. Viel wichtiger als die Drehung des Kopfes sind die Aspekte, dass die Schultern und Arme in der Haltung in festem Bodenkontakt bleiben sollten und die Beine zur Seite am Boden (oder auf einem Kissen) abgelegt werden. Ein gutes Kriterium, dass diese Yogahaltung angemessen geübt wird, ist eine lange, tiefe und gleichmäßige Atmung, sowohl im dynamischen als auch im statischen Üben. Diese Übung sollte wegen des hohen Drucks im Bauchraum nicht während der Schwangerschaft oder bei Entzündungen im Magen und Darmbereich geübt werden. Um nach dem Üben von jaṭhara parivṛtti den Körper wieder in die Symmetrie zu bringen und eine möglicherweise entstandene Anspannung im unteren Rücken und/oder im Schulter-Nackenbereich auszugleichen, bietet sich auch hier wieder das dynamischen Üben von apānāsana (Knie-zum-Bauch-Haltung) oder einige Wechsel zwischen Vierfüsslerstand und Blatthaltung an. (Foto: Marta Wave von Pexels)

Die Schulterbrücke (dvipāda pīṭham)

Die Schulterbrücke, auf Sanskrit „dvipāda pīṭham“ (Haltung/Tisch/Bank auf zwei Beinen/Füßen). Diese Yogaübung ist ein wirklicher Allrounder. Man kann die Schulterbrücke bereits zu Beginn der Yogapraxis üben, um den Körper aufzuwärmen. Ihre Funktion als Rückbeuge soll die Brustwirbelsäule beweglicher machen und den Bereich des Brustkorbes weiten, sodass der Atem länger und tiefer fließen kann. Die Schulterbrücke ist gut geeignet, um intensivere Rückbeugen, wie die Kobra oder die Heldin, vorzubereiten. Sie dient aber auch als Ausgleich nach dem Üben von Vorbeugen wie paścimatānāsana (der Vorbeuge aus dem Langsitz) oder pārśva uttānāsana (der Vorbeuge aus der Schrittstellung), um den zuvor gedehnten unteren Rücken und die gepressten Leisten und Hüftgelenke wieder zu entlasten. Die körperlichen Problembereiche dieses āsana liegen beim unteren Rücken, den Kniegelenken und im Nacken. Will man die Anforderungen oder Risiken in einem oder mehreren dieser Bereiche verringern, bieten sich verschiedene Varianten in der Armhaltung (seitlich abgelegt), der Stellung der Füße (breiter als hüftbreit) oder auch in der Höhe des angehobenen Beckens an. Soll das āsana intensiviert werden, kann ein Bein senkrecht nach oben oder parallel zum Boden ausgestreckt werden oder auch die Atemzüge im statischen Üben der Haltung schrittweise gesteigert werden. Um nach dem Üben von dvipāda pīṭham keine mögliche Anspannung im unteren Rücken, in den Beinen oder im Schulter-Nacken-Bereich zu hinterlassen, sollten anschließend einige Wiederholung von apānāsana (Knie-zum-Bauch-Haltung) oder einige Wechsel zwischen Vierfüsslerstand und Blatthaltung geübt werden.

Yogahaltungen variieren

Der nächste Gruppenkurs wird sich mit Variationen von verschiedenen Yogahaltungen, sogenannten āsana, beschäftigen. In acht Kursstunden soll vermittelt werden, wie man die unterschiedlichen Übungen an die eigenen, körperlichen Bedürfnisse anpassen und verändern kann. Dafür sollte man sich zunächst von der Vorstellung und Erwartung lösen, dass die Form einer Haltung wichtiger ist, als ihre Funktion, die Erfahrung und mögliche Wirkung, die dadurch erreicht werden soll. Mit der Variation eines āsana kann man die körperlichen Anforderungen sowohl erhöhen als auch verringern. Der Viniyoga, der sich das Konzept, den Yoga an das Üben des jeweiligen Menschen anzupassen (und nicht umgekehrt), als Aufgabe gemacht hat, bietet hier im wahrsten Sinne des Wortes, einen großen Spielraum ?. (Foto Lizenz von Stock Adobe)